Zwei Millionen Kinder in Deutschland sind übergewichtig, während des Lockdowns nahmen einige bis zu 30 Kilo in 6 Monaten zu. Expert*innen sprechen von einer „stillen Pandemie“ und fordern die Politik zum Handeln auf.
Dreimal so viele neue Typ-2-Diabetes-Fälle wie im Vorjahr
„Wir dokumentieren in unseren Spezialsprechstunden Gewichtszunahmen von bis zu 30 Kilo in 6 Monaten – Einzelfälle, aber ‚Rekorde’ dieser Art mehren sich. Es gibt bei Kindern einen derart klaren Anstieg an Adipositas während der coronabedingten Lockdowns, dass wir hier von einer zweiten, einer ‚stillen Pandemie’ sprechen“, sagte die Sprecherin der AG Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA) Susann Weihrauch-Blüher. In Deutschland sind 2 Millionen Kinder übergewichtig, davon 800.000 adipös, also stark übergewichtig. Mit steigendem Gewicht erhöht sich auch die Gefahr an Typ-2-Diabetes zu erkranken: In einigen ambulanten Adipositas-Zentren gebe es im Vergleich zum Vorjahr dreimal so viele neue Typ-2-Diabetes-Fälle bei Jugendlichen mit extremer Adipositas.
Nicht erst seit Corona ist Übergewicht bei Kindern ein Problem
Während des Lockdowns bewegten sich Kinder weniger und verbrachten mehr Zeit vor dem Fernseher oder im Internet. Zudem fehlte häufig eine klare Struktur im Alltag und Sozialleben. Diese Folgen der Pandemie werden zwar gerne als Ursache angeführt, doch die Vizepräsidentin der Deutschen Adipositas-Gesellschaft betont: „Der Beginn aber reicht wesentlich weiter zurück als die Corona-Pandemie, seit Jahren schon verlieren auch normalgewichtige Kinder Muskelmasse und bauen Körperfett auf. Dabei geht es nicht nur um das Körpergewicht, sondern um die gesamte Entwicklung. Eine Trendwende ist nicht in Sicht!“.
Expert*innen fordern mehr Prävention und eine klare Lebensmittelkennzeichnung
Wer als Kind übergewichtig ist, ist häufig als Erwachsener adipös. Da Menschen mit Adipositas vermehrt unter Krankheiten wie Diabetes-Typ-2 oder Herzprobleme leiden und sie eine geringere Lebenserwartung haben, gelten Erwachsene mit Adipositas als chronisch krank. Die Expert*innen fordern daher, dass Prävention und Therapie der kindlichen Adipositas dringend intensiviert werden.
„Für ein spürbar gesünderes Aufwachsen unserer Kinder sind politische Schritte maßgeblich“, erläutert der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) Jörg Dötsch und nennt Beispiele: „Verpflichtende und klare Lebensmittelkennzeichnungen, Verbote für Dickmacher-Werbung, die – z.B. auch durch Influencer – speziell an Kinder gerichtet ist, eine gut strukturierte Vermittlung von Ernährungskompetenz schon von der Kita an.“