Lidl, Kaufland, Rewe, Edeka und Aldi machen rund 85% der Supermärkte und Discounter in Deutschland aus. Und alle beziehen ihr Gemüse aus Europa, vor allem aus Spanien und Italien. Wie dieses Gemüse angebaut und geerntet wird bleibt dem Verbraucher verborgen, lediglich ein Aufdruck oder Anhänger an der Gemüsepackung gibt Auskunft über Anbaugebiet und Produzent. Das Team des Bayerischen Rundfunks hat sich beides angesehen und in einer Dokumentation festgehalten. Was sie aufdecken konnten war bedrückend und schlichtweg katastrophal, daher der passende Filmtitel: „Europas dreckige Ernte“. Denn genau das ist sie.
Slums und Hungerlöhne in Spanien
Die Dokumentation startet in Spanien in der Gegend von Almeria. Die riesigen Flächen voll Gewächshäusern dort kann man schon aus dem Weltall sehen. Die Arbeiter, illegale Flüchtlinge, hausen in erbärmlichen Slums, kleine Hütten aus Plastik, notdürftig errichtet. Sie müssen sich jeden morgen um fünf auf den Arbeiterstrich stellen, an dem Autos zu den Gewächshäusern fahren und die stärksten Männer mitnehmen. Im Regelfall für einen Hungerlohn von etwa 25 Euro am Tag, der Tariflohn wären 47 Euro. Die Arbeiter haben keine Wahl, im Heimatland werden sie verfolgt und bei einer Rückkehr schlimmstenfalls getötet. Das nutzen die Landwirte aus und behandeln sie wie Abfall, verlangen, dass sie ohne Lohn arbeiten und wenden Gewalt an. Das ist ncihts anderes als moderne Sklaverei.
Arbeitsschutz wird flächendeckend missachtet. Pflanzenschutzmittel müssen von den Arbeitern ohne Schutzkleidung versprüht werden und führen so schnell zu gesundheitlichen Schäden. Vom schweren Heben und den langen Arbeitszeiten können viele Arbeiter nicht mehr ohne Schmerzen arbeiten. Verschleiß am Rücken, den Knochen und Muskeln ist ein sehr viel verbreitetes Phänomen. Die Psyche leidet ebenso: Depressionen, Schlaflosigkeit, Perspektivlosigkeit. Aber auch die Landwirte der Genossenschaften, die auch deutsche Supermärkte beliefern, leiden. Sie erhalten für ihre Waren viel zu wenig Geld und können sich Lohnarbeiter oft gar nicht leisten. Preisdumping vom Feinsten. Einige Landwirte begehen dann, wegen der zwangsläufig entstandenen Schulden, Selbstmord.
Italiens Ernte-Mafia
In Italien ist das Bild nicht besser. Hier kommt sogar noch organisierte Kriminalität hinzu. Banden organisieren die billigen Arbeitskräfte und streichen dafür einen Teil des Lohns der Arbeiter als „Vermittler“ ein. Und all das subventioniert die EU? Ja, denn auch hier gilt: Subventionen pro Hektar landwirtschaftliche Fläche, ganz gleich was damit gemacht wird und wie. 3,4 Milliarden Euro Fördergelder flossen in den letzten drei Jahren in die Region Almeria in Spanien.
Deutschland ist Mit-Verursacher
Die größte Farce dabei bleibt, dass der deutsche Handel den Preis diktiert und damit diese Missstände erst möglich macht. Die am Anfang genannten Handelsketten setzten die Zulieferer unter massiven Druck, so dass sie letztendlich, um überhaupt das Obst und Gemüse verkaufen zu können, einknicken und die vorgegebenen Preise, Rabattforderungen und Konditionen akzeptieren. Dieser Druck wird logischerweise an die Erntehelfer weitergegeben, zeigen Studien von Oxfam Berlin. Die deutschen Händler sind sich keiner Schuld bewusst, sie verweisen auf Anfrage lediglich auf die Kontrollen örtlicher Behörden und das Siegel Global G.A.P. das theoretisch für faire Arbeitsbedingungen steht. Allerdings wurden in solchen Betrieben schon häufig Missstände entdeckt und das Siegel ist bei weitem nicht unabhängig: die Handelsbranchen selbst steckt hinter diesem vermeintlich fairem Siegel.
Und die Politik? Ist aktuell machtlos. In den betroffenen Ländern verweisen die Politiker auf die schon stattfindenden „ausreichenden“ Kontrollen. Der Kommissar des Agrarausschusses der EU-Kommission äußert sich auf Anfrage nicht zu den Subventionen. Immerhin ist es der Kommission bekannt, dass sich an der aktuellen Situation etwas ändern muss und Subventionen bei nicht Einhaltung des Arbeitsschutzgesetzes oder wenn der Mindestlohn nicht gezahlt wird, gekürzt oder gar gestrichen werden müssen. Bis dahin scheint es aber noch ein langer Weg.
Die Dokumentation des Bayerischen Rundfunks könnt ihr hier ansehen.